Das Paradies. | |
Achtzehnter Gesang. | |
1 | Schon freute sich der sel'ge Geist alleine |
An seinem Wort, und ich mit Süßigkeit | |
Das Bittre mäßigend, genoß das meine. 1-3 | |
4 | Und jene Frau, zum Höchsten mein Geleit, |
Sprach: "Wechsle die Gedanken - denk', ich wohne | |
Dem nah', der mildert unverdientes Leid." | |
7 | Ich, hingewandt zum süßen Liebestone, |
Konnt' in den heil'gen Augen Liebe schau'n, | |
Die ich nicht sing' in dieser niedern Zone. | |
10 | Denn nicht der Sprache nur muß ich mißtrau'n; |
Selbst das Gedächtniß kehrt nicht, ungetragen 11 | |
Vom Flug der Gnade, zu den sel'gen Au'n. | |
13 | Ich kann von jenem Augenblick nur sagen, |
Ich fühlte jeden Wunsch der Brust entfliehn, | |
Als ich den Blick zur Herrin aufgeschlagen, | |
16 | Bis die nun selbst aus Ihrem Auge schien, |
Die ew'ge Lust, vom schönen Angesichte | |
Im zweiten Anblick G'nüge mir verliehn, 13-18 | |
19 | Besiegend mich mit eines Lächelns Lichte. |
"Nicht mir im Aug' allein ist Paradies." | |
Sie sprach's. "Horch auf! dorthin die Augen richte!" | |
22 | Wie Lieb' auf Erden wohl sich mir erwies, |
Die lächelnd glänzt' auf eines Freundes Zügen, | |
Der seine Seele ganz ihr überließ, | |
25 | So zeigt in Glanz und wonnigem Vergnügen |
Des Urahns Geist die liebende Begier | |
Mir noch durch ein'ge Reden zu genügen: | |
28 | "In dieses Baumes fünfter Stufe hier, 28 |
Der von dem Gipfel Nahrung zieht und Leben, | |
Stets reich an Frucht und frischer Blätter Zier, | |
31 | Sind Sel'ge, die, eh' sie empor zu schweben |
Der Himmel rief, in eurem Erdenthal | |
Durch Ruhm der Muse reichen Stoff gegeben. | |
34 | Sie auf die Arme hin am Kreuzes-Maal, |
Und zeigen wird sich Jeder, den ich nannte, | |
Wie in der Wolk' ihr schneller Feuerstrahl." 36 | |
37 | Und sieh, ein Licht, gleich schnellem Blitz, entbrannte |
Beim Namen Josua - so daß ich Wort | |
Und That in einem Augenblick erkannte. | |
40 | Den Maccabäus nannt' er dann und dort |
War kreisend Feuer glänzend vorgedrungen, | |
Und Freude trieb den heil'gen Kreisel fort. | |
43 | Als Karl der Groß' und Roland dann erklungen, |
Folgt' ich so aufmerksam dem Glanz, als man | |
Dem Falken folgt, der sich emporgeschwungen. | |
46 | Wilhelm zog meinen Blick zum Kreuz hinan, 46 |
Und Rinoard, bei ihres Namens Klange; | |
Auch Herzog Gottfried, Robert Guiscard dann. | |
49 | Drauf mischte sich dem schimmernden Gedrange |
Die Seele, die erst sprach, als Meisterin | |
Sich zeigend in dem himmlischen Gesange. | |
52 | Ich kehrte mich zur rechten Seite hin, |
Um in Beatrix meine Pflicht zu lesen, | |
In Wink und Wort der heil'gen Führerin, | |
55 | Und sah so rein ihr Aug', ihr ganzes Wesen |
So hold, daß, was ich sah an Himmelslust, | |
Sie übertraf, ja, was sie je gewesen. | |
58 | Und, wie des guten Wirkens sich bewußt, |
In größ'rer Wonne man von Tag zu Tagen | |
Der Tugend Wachstum merkt in eigner Brust; | |
61 | So merkt' ich jetzt, vom Himmel fortgetragen |
In seinem Schwung, gewachsen sei der Kreis, | |
Sobald ich sah dies schön're Wunder tagen. | |
64 | Und wie das Roth der Scham, die glühend heiß |
Gefärbet hat der zarten Jungfrau Wangen, | |
Bald wieder schwindet vor dem lautern Weiß, | |
67 | So, nach dem rothen Licht, das mich umfangen, 67 |
Sah ich mich in den Silberglanz entrückt | |
Des sechsten Sterns, der mich in sich empfangen. | |
70 | Und in dem Stern des Zeus, den Freude schmückt, |
War frohes Liebesfunkeln zu gewahren, | |
Durch unsre Sprache Zeichen ausgedrückt. | |
73 | Wie Vögel, die empor vom Strande fahren, |
Gemeinsam neuer Weide froh, sich bald | |
In runden, bald in langen Haufen schaaren, | |
76 | So flatterten vom Himmelslicht umwallt, |
In Sängen Sel'ge hin, im Fluge zeigend | |
des D und dann des I und L Gestalt, | |
79 | Im Sang erst bald gesenkt, bald wieder steigend, |
Und, war die Ordnung diesen Zeichen gleich, | |
Einhaltend in des Fluges Schwung und schweigend. | |
82 | Kalliope, die du die Geister reich |
An Ruhme machst, sie ewig zu erhalten, | |
Die du erhältst mit ihnen Stadt und Reich, | |
85 | Erleuchte mich, damit ich die Gestalten |
Getreu beschreibe, jetzt mit deinem Strahl; | |
Laß deine Kraft in kurzen Reimen walten! - | |
88 | Vokal' und Consonanten - sieben mal |
Fünf waren's, die mein Auge dort ergetzten, | |
Auch merkt' ich wohl die Ordnung dieser Zahl. | |
91 | Diligite iustitiam - so setzten |
Erst Haupt- und Zeitwort sich; dann sieh sofort | |
Qui iudicatis terram - als die letzten. 91-93 | |
94 | Und alles blieb beim M im fünften Wort |
Geordnet stehn, hiermit das Werk vollbringend. | |
So stand die Schrift wie Gold und Silber dort. 96 | |
97 | Ich sah viel andres Licht, sich niederschwingend |
Zum Haupt des M, dort still und unbewegt. | |
Vom Gut, so schien es, das sie anzieht, singend 99 | |
100 | Dann, wie wenn man mit Feuerbränden schlägt, 100 |
Draus unzählbare Funken sprühend flammen, | |
Woraus die Thorheit wahrzusagen pflegt, | |
103 | So hoben dort sich mehr als tausend Flammen 103 |
Und die stieg mehr, und minder die empor, | |
Wie sie die Sonne trieb, aus der sie stammen. | |
106 | Als jed' an ihrer Stelle war, verlor |
Sich das Gewühl - da trat in Flammenzügen | |
Der Kopf und Hals von einem Adler vor. | |
109 | Der dorten malt, weiß selbst sich zu genügen, |
Er, ungeleitet, lenkt des Künstlers Hand, | |
Damit der Form sich die Gebilde fügen. | |
112 | Die sel'ge Schaar, die dort zufrieden stand, 112 |
Das M bekrönend mit dem Lilienkranze, | |
Vollendete das Bild jetzt, leicht gewandt. | |
115 | So sah ich, schöner Stern, der Himmel pflanze 115 |
In uns die Keime der Gerechtigkeit, | |
Der Himmel, den du schmückst mit deinem Glanze. | |
118 | Zum Geist, der Kraft dir und Bewegung leiht, 118 ff. |
Fleh' ich, nach jenem Rauche hinzuschauen, | |
Der deinen Strahl verdunkelt und entweiht. | |
121 | Sein Zorn mach' einmal noch dem Volke Grauen, |
Das in dem Tempel schachert und verkehrt, | |
Den Er aus Wundern ließ und Martern bauen. | |
124 | O Himmels-Kriegerschaar, dort hell verklärt, |
Bitte für die, so noch der Leib umschlossen, | |
Die schlechtes Beispiel falsche Wege lehrt. | |
127 | Einst kriegte man mit Schwertern und Geschossen, |
Doch jetzt, das Brod wegnehmend dort und hie, | |
Das unser frommer Vater nie verschlossen. | |
130 | Du, der du schreibst, um auszustreichen, sieh: |
Für jenen Weinberg, welchen du verdorben, | |
Starb Paul und Petrus, doch noch leben sie, | |
133 | Du aber denkst: Hab' ich nur den erworben, |
Der in die Einsamkeit der Wüst' entrann | |
Und der zum Lohn für einen Tanz gestorben, | |
136 | Was kümmern Paulus mich und Petrus dann? |
Erläuterungen:
1- 3 In diesen Versen, die fast wörtlich übersetzt sind, bedeutet das Wort (Verbo) unzweifelhaft Gedanke. Der Sinn ist also: Der Selige, nicht mehr mit mir sprechend, ergab sich still seinen Gedanken und ich that dasselbe. Da die Bitterkeit in dem, was Cacciaguida verkündigt, das Vorherrschende ist, so ist der Uebersetzer nicht der gewöhnlichen Lesart: temprando 'l dolce con l'acerbo, sondern einer ältern, unstreitig bessern, gefolgt, in der es heißt: temprando col dolce l'acerbo. 11 Selbst das Gedächtniß. S. Anm. zu Ges. 1 V. 7-9. 13-18 Der Uebersetzer kann diese Stelle, über welche die Ausleger viel Unklares sagen, nur folgendergestalt verstehen: Dante ist beim ersten Blick auf Beatricen so befriedigt, daß er nichts mehr wünscht, selbst kein Bedürfniß fühlt, sich weiter zu unterrichten. Aber beim zweiten Anblick sieht er sie so in ewiger Wonne glänzen, daß er nun, da er in ihrem Anschauen völlige Genüge gefunden, die Kraft erhält, sich von der Herrin abzuwenden, wozu ihn ihr Lächeln und die Worte, die es begleiten, auffordern. 28 Der Baum, das Paradies - dessen fünfte Stufe, der fünfte Stern - der Gipfel, Gott. 36 Alles, was den Seligen Veranlassung zu neuer Liebe, neuer Freude giebt, macht, wie wir schon öfter bemerkt haben, daß sie heller leuchten und ihren Tanz beschleunigen. So zeigt sich Jeder, der von Cacciaguida genannt wird. 46 Wilhelm, wahrscheinlich der Bischof Wilhelm von Orange, welcher den V. 48 benannten Gottfried von Bouillon ins heilige Land begleitete - Rinoard, ein anderer Kreuzritter - Robert Guiscard, der Normann, welcher die Sarazenen im untern Italien überwältigte. 67 Mars glänzt bekanntlich, besonders wenn er aufgeht, in einem rothen, Jupiter in weißem Lichte. 91-93 Diligite iustitiam qui iudicatis terram - liebt die Gerechtigkeit, ihr, die ihr die Erde richtet. 96 Das weiße Licht des Jupiter bildet den silbernen Grund, auf welchem die goldene Schrift, aus den seligen Geistern zusammengesetzt, sich zeigt. 99 Einige verstehen unter diesem Gute Gott selbst, Andere die kaiserliche Universalmonarchie, welche, nach Dante, von Gott eingesetzt ist zum allgemeinen Frieden. Da die Seligen, wie wir sogleich sehen werden, durch ihr Licht einen Adler bilden, so ist diese letztere Vermuthung nicht unwahrscheinlich. Die hohen Begriffe, welche der Dichter von der kaiserlichen Würde und ihrem göttlichen Ursprung hatte, mögen ihn rechtfertigen, wenn er in diesen Bildern vielleicht sich irdischer zeigt, als die Erhabenheit seines Gegenstandes zu gestatten scheint. Nur nach dem Ptolemäischen System konnte ein Erdenreich als so wichtig im Weltall erscheinen. 100 Lombardi bemerkt, es geschehe wohl noch jetzt, daß die Leute, wenn sie aus zwei zusammengeschlagenen Holzbränden unzählige Funken herausfahren sähen, ausriefen: So viel Zechinen! So viel Dublonen! 103 Wie Gott in dem Reiche, dessen Bild durch den Adler dargestellt wird, sie höher oder niedriger stellte, und wie sie daher auch hier höher oder niedriger flogen, um den Platz einzunehmen, den jede nach der allgemeinen Anordnung einnehmen mußte, damit aus Allen der Adler sich bilde. 112 Nach V. 97 hatten sich viele andere Selige zum Haupte des M geschwungen. Hier sehen wir, daß sie dort einen Lilienkranz bilden, aus welchem nun der Leib und die Flügel des Adlers sich entfalten. 115 Aus diesem Bilde erkennt der Dichter, daß der Himmel, an welchem Jupiter glänzt, von Gott, nach dem früher entwickelten Systeme die Bestimmung erhalten habe, durch seine Kraft die Tugend der Gerechtigkeit auf Erden zu entwickeln. 118 ff. Der Dichter kann diese Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, ohne, als Ghibellin, das zu rügen, was Veranlassung gab, daß man zu seiner Zeit die Gerechtigkeit nicht achtete, die gebot, das Alle, auch der Papst selbst, dem Kaiser, als weltlichen Herrn, gehorchen sollten. Dies ist der Ehr- und Geldgeiz des Papstes, und die Entweihung des Heiligen. Um den Feind zu demüthigen, entzieht der Papst bei Excommunicationen die Sacramente, namentlich das Abendmahl. (V. 128.129.) Insbesondere wird hier der Papst Bonifaz der Achte, welcher Kirchenstrafen nur dictiert, um sie für baares Geld zurückzunehmen, ermahnt, er möge glauben, daß Paulus und Petrus noch lebten und ihn strafen könnten. Doch giebt Dante selbst zu, daß diese Ermahnung überflüssig sei, da, wenn der Papst nur Johannem den Täufer auf den florentinischen Goldgulden habe, er sich um Paulus und Petrus nicht weiter kümmere. |