Das Paradies. |
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Sechszehnter Gesang. |
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1 | O du geringer Adel unsers Bluts, |
Kannst du hienieden uns zum Stolz verführen, | |
Wo wir noch fern vom Schau'n des wahren Guts, | |
4 | So werd' ich nimmer drob Verwund'rung spüren; |
Denn dort, wo falsche Lust uns nicht erreicht, | |
Fühlt ich darob in mir den Stolz sich rühren. | |
7 | Du bist ein Mantel, der, sich kürzend, weicht, |
Setzt man nicht Neues zu von Tag zu Tagen, | |
Weil rings die Zeit mit ihrer Scheere schleicht. - | |
10 | Mit jenem Ihr, das Rom zuerst ertragen, |
Das jetzt die Römer minder brauchen, trat | |
Ich näher hin, beginnend neue Fragen. | |
13 | Beatrix drum, zur Seite stehend, that, |
Lächelnd, gleich Jener, die beim ersten Fehle | |
Ginevrens, wie man schreibt, gehustet hat. 10-15 | |
16 | ""Ihr seid mein Vater; Ihr erhebt die Seele, |
Daß ich mehr bin als Ich; Ihr gebt mir Muth, | |
Mit euch zu sprechen frei und sonder Hehle. | |
19 | Mir strömt zur Brust vielfacher Wonne Flut, |
Doch sie erträgt es, ohne zu zerspringen, | |
Weil süß das Herz in eigner Freude ruht. | |
22 | Drum sprecht, mein Urahn, welche Vordern gingen, |
Euch noch voraus, und wie bezeichnet man | |
Die Jahre, die euch hier itzt Früchte bringen? 24 | |
25 | Vom Schafstall sprecht des heiligen Johann; 25 |
Wie groß war er? Wer ist, den, hoch zu stehen | |
In jenem Volk, man würdig preisen kann?"" | |
28 | Gleichwie, belebt von frischen Windes Wehen, |
Die Kohl' in Flammen glüht, so war das Licht | |
Bei meinem Liebeswort in Glanz zu sehen. | |
31 | Und so verschönt' er jetzt sich dem Gesicht, |
Wie seine Sprache sich dem Ohr verschönte; | |
Doch war's nicht jene, die man jetzo spricht. 33 | |
34 | Er sprach: "Seitdem des Engels Ave tönte, |
Bis meine Mutter, heilig itzt, in Qual, | |
Sich meiner Last entledigend, erstöhnte, | |
37 | Kam allbereits fünfhundert achtzig Mal |
Dies Feuer zu den Füßen seines Leuen, | |
Dort zu erneuern seinen Flammenstrahl. 34-39 | |
40 | Des ersten Lichts sollt' ich am Ort mich freuen, |
Den Vätern gleich, wo man das Sechstheil fand, 41 | |
In dem sich eure Jahresläuf' erneuen. | |
43 | Und dieß sei von den Ahnen dir bekannt; |
Wer sie gewesen, und woher entsprossen, | |
Wird schicklicher verschwiegen, als benannt. | |
46 | Was da, von Mars und Täufer eingeschlossen, 46 |
Befähigt war, sich zum Gefecht zu reih'n, | |
Ein Fünftheil war's der jetzigen Genossen. | |
49 | Allein die Bürgerschaft, jetzt groß zum Schein, |
Vermischt mit Campi's und Certaldo's Schaaren, 50 | |
War noch im letzten Handwerksmanne rein. | |
52 | Wohl besser wären, die einst Nachbarn waren, |
Es jetzo noch - wohl besser war's, Galluzz | |
Und Trespian als Gränzen zu bewahren, | |
55 | Als innerhalb der Bauern Stank und Schmutz 52-55 |
Von Aguglion und Signa zu ertragen, | |
Die listig gaunern allem Recht zum Trutz. | |
58 | Wenn sich, der gänzlich aus der Art geschlagen, 58 |
Am Kaiser nicht stiefväterlich verging, | |
Statt ihn am Herzen väterlich zu tragen, | |
61 | Wär' mancher Schach'rer, den Florenz empfing, |
Bereits zurückgekehrt nach Simifonte, 62 | |
Wo sein Großvater schmählich betteln ging. | |
64 | Wie Montemurlo Grafschaft bleiben konnte, 64 |
So wären noch die Cerchi in Acon, | |
Vielleicht in Valdigriev die Buondelmonte. 65-66 | |
67 | In Volksvermischung fand man immer schon |
Den ersten Keim zu einer Stadt Verfalle, | |
Wie Speis' auf Speisen unsern Leib bedrohn. | |
70 | Ein blinder Stier stürzt hin in jäherm Falle |
Als blindes Lamm, und öfters ist ein Schwert | |
Mehr werth als fünf, und schneidet mehr als alle. | |
73 | Sieh Luni, Urbisaglia schon verheert, |
Sieh Chiusi in derselben Noth sich winden, | |
Die Sinigaglia, jenen gleich, erfährt; 73-75 | |
76 | Dann wirst du's nicht mehr neu und seltsam finden, |
Hüllt Nacht des Todes die Geschlechter ein, | |
Da Städte selbst vom festen Grund verschwinden. | |
79 | Was euer ist, das trägt, wie euer Sein, |
Den Tod in sich; doch, was sich minder wandelt, | |
Verbirgt ihn euch, denn eure Zeit ist klein. | |
82 | Und wie des Mondes Lauf den Strand verwandelt, |
Und ihn in Ebb' und Flut entblößt und deckt, | |
So ist's, wie das Geschick Florenz behandelt. | |
85 | Drum werde dir kein Staunen mehr erweckt, |
Sprech' ich von Edeln deiner Stadt, von ihnen, | |
Die in Vergessenheit die Zeit versteckt. | |
88 | Die Ughi hab' ich und die Catellinen |
Der Greci und Ormanni Stamm gesehn, | |
Die selbst im Fall erhabne Bürger schienen. | |
91 | Mocht' alt, wie hoch, der von Sanella stehn, |
Er mußte mit Soldanier, den von Arke | |
Und den Bostichi kläglich untergehn. 88-93 | |
94 | Am Thor, das jetzt an Hochverrath so starke |
Belastung hat, daß in den Wogen bald | |
Versinken wird die überladne Barke, | |
97 | Dort war der Ravignani Aufenthalt, |
Das Stammhaus derer, die den Namen führen | |
Des Bellincion, der edel ist und alt. 94-99 | |
100 | Wohl wußte, wie sich's zieme, zu regieren , |
Der della Pressa - Galligajo nahm | |
Das Schwert, das golden Blatt und Knauf verzieren, | |
103 | Groß war die graue Säul' und wundersam, 103 |
Groß waren die Sachetti, die Barucci, | |
Und die ein Scheffel jetzt durchglüht mit Scham. 105 | |
106 | Groß war vordem der Urstamm der Calfucci; |
Zu jeglichem erhabnen Platz im Staat | |
Rief man die Sizii und die Arrigucci. | |
109 | Wie groß war't ihr! allein des Stolzes Saat |
Trug Untergang - wie blüht' auf allen Aesten | |
So edler Stämme Muth und große That! | |
112 | So waren deren Väter, die in Festen, |
Wenn man den Sitz des Bischofs ledig sieht, | |
Im Consistorium sich behaglich mästen. 112-114 | |
115 | Das prahlende Geschlecht, das dem, der flieht, 115 |
Zum Drachen wird, doch sanft wird, gleich dem Lamme, | |
Wenn man die Zähne weist, den Beutel zieht, | |
118 | Kam schon empor, allein aus niederm Stamme, |
Drum zürnt' Ubert dem Bellincion, daß er 119 | |
Zu solcherlei Verwandtschaft ihn verdamme. | |
121 | Von Fiesole kam Caponsacco her |
Auf euren Markt, und trieb in jenen Tagen | |
Wie Infangato bürgerlich Verkehr. | |
124 | Unglaubliches, doch Wahres werd' ich sagen: |
Ein Thor des Städtchens ließ man ungescheut | |
Den Namen des Geschlechts der Pera tragen. | |
127 | Wen nur des schönen Wappens Schmuck erfreut, 124-127 |
Des großen Freiherrn, dessen Preis und Ehren | |
Alljährlich noch das Thomas-Fest erneut, | |
130 | Ließ Ritterwürden sich von ihm gewähren, |
Mag der auch, der's mit goldner Zier umwand, | |
Jetzt im Vereine mit dem Volk verkehren. 127-132 | |
133 | Da hoch der Stamm der Gualterotti stand, |
So würd' in Kriegsnoth Burgo minder beben, | |
Wenn er sich mit den Nachbarn nicht verband. 133-135 | |
136 | Das Haus, das euch zum Weinen Grund gegeben, |
Da's in gerechtem Grimm euch Tod gebracht | |
Und ganz beendigt euer heitres Leben, | |
139 | Stand mit den Seinen fest in Ehr' und Macht. |
O Buondelmont', was hattest du Verlangen | |
Nach andrer Braut? was fremden Antriebs Acht? | |
142 | Wohl Viele würden froh sein, die jetzt bangen, |
Wenn Gott der Ema dich vermählt, als du | |
Zum ersten Male nach der Stadt gegangen. 136-144 | |
145 | Doch wohl stand dieser Stadt das Opfer zu, |
Das sie der Brücken-Wacht, dem wüsten Steine, | |
Mit Blut gebracht in ihrer letzten Ruh'. 145-147 | |
148 | Mit Diesen und mit Andern im Vereine |
Sah ich Florenz des süßen Friedens werth, | |
In dem's nie Ursach fand, weshalb es weine. | |
151 | Mit diesen sah ich hoch sein Volk geehrt, |
Gerecht und treu, in ruhig edler Haltung, | |
Und nie am Speer die Lilien umgekehrt, 153 | |
154 | Und nimmer roth gefärbt durch inn're Spaltung. 154 |
Erläuterungen:
10-15 In Rom kam wahrscheinlich zuerst die Gewohnheit auf, die einzelne Person mit Ihr anzureden. Landino* versichert aber, daß dies dort zu seiner Zeit gänzlich wieder außer Gebrauch gekommen sei, obwohl man sonst überall dieser Redeform sich bediene. - Mit diesem Ihr begrüßt jetzt Dante aus Ehrfurcht seinen Urahn. Allein Beatrice, die, wahrscheinlich weil nur von weltlichen Dingen die Rede ist, zur Seite steht, macht ihn durch Lächeln aufmerksam, daß dies unpassend sei, wie die Kammerfrau in dem Ritterroman, dessen in der Hölle Ges. 5. V. 127 ff. gedacht ist, beim ersten Kusse, den Ginevra ihrem Buhlen gestattet, durch Husten die Herrin warnt. 24 Die Jahre, die ihr auf Erden gelebt habt. 25 Der Schafstall etc. Florenz, dessen Schutzpatron Johannes ist. 33 Cacciaguida sprach, wie im vorigen Gesange V. 28-31, Latein, welches zu seiner Zeit noch die Sprache des Umgangs zwischen wissenschaftlich gebildeten Personen war. 34-39 Von der Verkündigung des Heilandes an bis zu Cacciaguida's Geburt hatte Mars seine Umlaufszeit 580 Mal vollendet und war eben so oft in das Gestirn des Löwen wieder eingetreten. Diese Umlaufszeit dauert 686 Tage 22 Stunden 29 Minuten, so daß hiernach Cacciaguida zwischen dem Jahre 1090 und 1091 geboren worden wäre. - Früher berechnete man die Umlaufszeit des Mars gewöhnlich auf 2 Jahre, so daß, wenn man die Zahl 580 als richtig annähme, Cacciaguida, welcher mit Kaiser Konrad den Kreuzzug von 1147 mitmachte, hiernach eher gestorben als geboren gewesen wäre. Man las daher, um diesen Wiederspruch in einigen Ausgaben zu beseitigen, statt: cinque cento cinquanta e trenta - cinque cento cinquanta e tre. Jene Lesart ist aber unstreitig die richtige, da man, wie Herr Professor Ideler* den Uebers. gefälligst belehrt hat, nach den im Jahre 1252 entstandenen Alphonsischen astronomischen Tafeln, ja nach den des Ptolemäus selbst, bereits zu des Dichters Zeit von der Umlaufszeit des Mars ziemlich genau unterrichtet war, so daß die neuesten Berechnungen noch keine Stunde mehr ergeben. Dante, dessen großes Interesse für die Sternkunde sich überall offenbart, wird die richtige Berechnung unstreitig gekannt haben. 41 Florenz wurde früher in Bezirke eingetheilt, die man Sechsteile nannte. Cacciaguida wurde, wie seine Vorältern, in dem Sechsteile geboren, wo zum Johannisfest die Wettläufe gehalten wurden. 46 Von Mars und Täufer eingeschlossen. Zwischen der Bildsäule des Mars (s. Anm. zu Ges. 13. V. 143 der Hölle) und der St. Johanniskirche. 50 Campi und Certaldo, benachbarte Orte, welche die Stadt ihrem Gebiete einverleibt hatte. 52-55 Galuzzo und Trespiano, ebenfalls benachbarte Orte, die früherhin an Florenz gränzten, nachher aber mit der Stadt vereinigt wurden. In Folge dessen zogen vom platten Lande viele Personen in die Stadt, die nicht zur alten und reinen Bürgerschaft gehörten. Als solche bezeichnet er die V. 56 benannten, welchen Schuld gegeben wird, daß sie Wucher und mit Staatsgeschäften Handel trieben. 58 Hier ist der Papst bezeichnet, der durch sein Widerstreben gegen die weltliche Macht Urheber aller Unruhen von Florenz war. 62 Simifonte, eine Burg in Toskana. 64 Montemurlo wurde von seinem Herrn, dem Grafen Guido, der es gegen Pistoja nicht vertheidigen konnte, an Florenz verkauft. 65-66 Die Cerchi und Buondelmonti, deren Einfluß auf die Florentiner Händel in der Einleitung ausführlich erwähnt ist, wohnten früher in den im Texte angegebenen Orten, und wurden ebenfalls erst durch jene Vergrößerung der Stadt in diese versetzt. 73-75 Die hier angegebenen Orte sind Städte, die früher groß und wohlhabend waren, aber schon zu Dante's Zeit in Verfall kamen. 88-93 Bedeutende Familien, die damals schon untergegangen waren. 94-99 Am Thor St. Petri wohnten früher die Ravignani, ebenfalls ein altes Geschlecht. Deren Haus wurde den Cerchi verkauft. 103 Die graue Säule, Wappen der Familie Billi oder Pigli. 105 Ein Mitglied der edlen Familie der Chiaramonti, welches den öffentlichen Getreide-Magazinen vorstand, hatte den Scheffel, nach welchem das Korn ausgegeben wurde, durch Herausnahme einer Daube verfälscht und sich das Mindermaß angeeignet. Er wurde dafür mit dem Tode bestraft. (Landino). 112-114 Die Visdimoni, Tosinghi und Cortignini, deren gemeinschaftlicher Ahn das Bisthum zu Florenz gestiftet hatte, verwalteten während der Vacanz dessen Güter, und aßen und tranken in der bischöflichen Residenz so lange, bis das heilige Amt wieder besetzt war. 115 Nach Landino sind in den folgenden Versen die Cavicciuli und Adimari bezeichnet, die eben so grausam als feig und geizig waren. 119 Uberti Donati war mit einer Tochter des Bellincione verheirathet. Die Schwester derselben heirathete einen der Adimari. 124-127 Man war damals so wenig eifersüchtig auf den Ruhm ehrenwerther Familien, daß man nach der der Pera ein Thor Porta Peruzza benannte. 127-132 Der Freiherr Hugo, Statthalter des Kaisers Otto III. in Toskana, dem nachher noch lange in einer dortigen Abtei jährlich eine Lobrede gehalten wurde, verlieh mehreren Familien die Ritterwürde, und erlaubte ihnen, sein Wappen in das ihrige aufzunehmen. Cacciaguida muß, in der ghibellinischen Gesinnung, dies loben, da es Ehrfurcht für den Kaiser beweist. Giano della Bella, welcher Hugo's Wappen, von einer goldenen Verzierung umschlungen, führte, hatte sich von der Partei des Adels zu der des Volks gewandt. 133-135 Die hier angegebene Thatsache ist aus den Commentaren nicht mit Klarheit zu entnehmen. 136-144 Das Haus der Amidei. Aus diesem Hause war die Braut, die Buondelmonte um einer andern willen verstieß. (S. Einleitung.) Der Dichter wünscht, daß der erste Buondelmonte, als er von seinem Landgute nach Florenz gegangen, in dem Flusse Ema, der den Weg durchschneidet, ertrunken sein möchte. 145-147 Buondelmonte wurde am Fuße des alten Thurmes ermordet, an welchem die Bildsäule des Mars stand. Mit diesem Morde war der Frieden der Stadt vernichtet. 153 Die weiße Lilie, das Wappen von Florenz, wurde nie von einem Feinde umgekehrt, wie es mit den Fahnen der Besiegten, die man erobert hatte, zu geschehen pflegte. 154 Die florentinischen Guelfen hatten in ihre Fahnen statt der weißen eine rothe Lilie aufgenommen. |