Das Paradies. |
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Siebenter Gesang. |
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1 |
"Hosianna dir, du Gott der Macht und Wahrheit, |
Dir, der du hier der sel'gen Flammen Glanz | |
Reich überströmst mit Fülle deiner Klarheit!" 1-3 | |
4 |
So schien, zurückgewandt zu ihrem Tanz, |
Die Seel' im Lied des höchsten Herrn zu feiern, 4 | |
Umringt ihr Licht von neuem Strahlenkranz. | |
7 | Den Reigen sah ich Alle nun erneuern, |
Und Funken gleich, die durch die Lüfte fliehn, | |
Von plötzlicher Entfernung sie verschleiern. | |
10 | Ich zweifelte. ""Sprich, sprich, zur Herrin,"" schien |
Mein Herz zu sprechen bei des Mundes Schweigen, | |
""Die stets dir Lab' in süßem Thau verliehn."" | |
13 | Allein die Ehrfurcht, der ich immer eigen |
Als Sclav war, wo nur be und ice klang, 14 | |
Ließ gleich dem Schläfrigen das Haupt mich neigen, | |
16 | Sie aber duldete mich so nicht lang; |
In Lächeln strahlte mir das hohe Wesen, | |
Das Feuerpein umschüf' in Wonnedrang. 18 | |
19 | Sie sprach:"Ich hab' in deiner Brust gelesen; 19 |
Wie ist - dies ist's , was dir im Haupte kreis't - | |
Gerechter Rache Zücht'gung recht gewesen. | |
22 | Doch bald entwirren will ich deinen Geist, |
Damit du, wenn dein Sinn sich mir erschlossen, | |
Um eine große Wahrheit reicher seist. | |
25 | Der Mensch, der nicht geboren ward, verdrossen, 25 |
Zu dulden, sich zum Heil, des Willens Zaum, | |
Verdammte sich und mit sich seine Sprossen; | |
28 | Drob das Geschlecht in Wahn und falschem Traum |
Viel hundert Jahre krank lag, matt und trübe, | |
Bis sich das Wort geneigt zum niedern Raum, | |
31 | Wo's der Natur, die sich im irren Triebe |
Vom Schöpfer abgekehrt, sich ganz verband, | |
Blos durch das Walten seiner ew'gen Liebe. | |
34 | Scharf sei dein Blick jetzt auf mein Wort gespannt. |
Diese Natur, dem Schöpfer hingegeben, | |
Und ihm vereint, war rein, wie sie entstand. | |
37 | Doch durch sich selbst war sie für falsches Streben |
Vom Paradies verbannt, weil sie die Bahn | |
Verlassen, wo nur Wahrheit ist und Leben. | |
40 | Drum ward die Strafe, durch das Kreuz empfahn, |
Mit größerm Recht, als jemals irgend eine, | |
Der angenommenen Natur gethan. | |
43 | So war die Straf' auch ungerecht, wie keine, |
In Hinsicht deß, der sie erlitten hat, | |
Mit der Natur, der ird'schen, im Vereine. | |
46 | Verschieden war die Wirkung einer That. |
Gott und den Juden mußt' ein Tod gefallen, | |
Drob Erd' erbebt' und Himmel auf sich that. | |
49 | Schwer wird dir's nicht mehr zu begreifen fallen, |
Wenn man von dem gerechten Richter spricht, | |
Deß Rach' auf rechte Rache schwer gefallen. | |
52 | Doch deinen Geist, gleich einem Netz, umflicht |
Gedank' jetzt und Gedank' in engem Kreise, | |
Aus dem er sehnlich Lösung sich verspricht. | |
55 | Der Rache Recht war klar in dem Beweise, |
Denkst du: doch weshalb wählt' in seiner Macht | |
Gott zur Erlösung eben diese Weise? | |
58 | Der Schluß, mein Bruder, birgt sich dem in Nacht, |
Dem nicht, wenn hell der Liebe Flammen brennen, | |
Die Glut den Geist zur Mündigkeit gebracht . | |
61 | Vernimm deshalb, weil wenig zu erkennen, |
Obwohl der Blick sich häufig spähend müht, | |
Warum die Art die würdigste zu nennen. 58-63 | |
64 | Die ew'ge Güt', in sich nie zornentglüht, |
Zeigt, wenn im All sich ihre Schönheit spiegelt, | |
Wie sie die Funken eigner Glut versprüht. | |
67 | Was ihr unmittelbar entströmt - verriegelt |
Ist dem des Todes Thür, und fest und treu |
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Ist das Gepräge, wenn sie selber siegelt. | |
70 | Was ihr unmittelbar entströmt, ist frei, |
Ist völlig frei, und deshalb wohnt dem Neuen | |
Die Kraft nicht, es zu unterjochen, bei. | |
73 | Je mehr's ihr gleicht, je mehr muß sie's erfreuen, |
Drum will die heil'ge Glut, das Licht der Welt, | |
Auf's Aehnlichste den hellsten Schimmer streuen. | |
76 | Im Allem dem ist hoch der Mensch gestellt, 76 |
Der aber, wenn nur eins ihm fehlt, entweihet, | |
Mit Schmach herab von seinem Adel fällt. | |
79 | Die Sünd' allein ist das, was ihn entfreiet, 79 |
Unähnlich macht sie ihn dem höchsten Gut, | |
Das wenig drum von seinem Glanz ihm leihet. | |
82 | Nie kehrt zurück ihm seine Würde, thut |
Er dem nicht G'nüge durch gerechte Leiden, | |
Was er gefehlt in sünd'ger Lüste Glut. | |
85 | Eure Natur, die in den ersten Beiden 85 |
Ganz sündigte, ward, wie der Würd' entsetzt, | |
So auch verdammt, das Paradies zu meiden. | |
88 | Und Möglichkeit, dahin zurückversetzt |
Dereinst du sein, gab's nur auf zweien Pfaden, | |
Wenn scharf dein Geist der Dinge Wesen schätzt: | |
91 | Entweder Gott verzieh allein aus Gnaden, |
Oder es mußte sich, der ihn gekränkt, | |
Der Mensch, g'nugthuend, selbst der Schuld entladen. | |
94 | Dein Blick sei in den Abgrund jetzt versenkt |
Des ew'gen Rathes, und mit ernstem Schweigen | |
Sei ganz dein Geist nach meinem Wort gelenkt. | |
97 | G'nugthuung konnte nie der Mensch erzeigen, |
Und, eng beschränkt, so tief nicht niedergehn, | |
Gehorchend, nicht sich so in Demuth neigen, | |
100 | Als, ungehorsam, er sich wollt' erhöhn; |
Drum konnt' er nie sich von der Schuld befreien, | |
Genugthuung nicht durch ihn selbst geschehn. | |
103 | Drum wählt, ihn neu zum Leben einzuweihen, |
Gott, so gerecht wie gnädig, seinen Pfad, | |
Und führt' auf diesem ihn, vielmehr auf zweien. | |
106 | Doch weil so werther ist des Thäters That, |
Je heller strahlt die Güt' in dem Gemüthe, | |
In dem die Handlung ihre Quelle hat, | |
109 | Hat, die die Welt gestaltet, Gottes Güte, |
Auf jedem Wege, der ihr offen lag, | |
Euch neu erhöht zu eurer ersten Blüthe | |
112 | Und zwischen letzter Nacht und erstem Tag |
Ist nie so Hohes, Herrliches gediehen | |
Für Sie und euch, was Er auch schaffen mag. | |
115 | Freigeb'ger war's, daß Gott sich selbst verliehen, |
Drob zu erstehn der Mensch genügend ward, | |
Als hätt' er ihm nur aus sich selbst verziehen. | |
118 | Karg wär' erfüllt in jeder andern Art |
Das Recht, wenn Gottes Sohn um euretwillen | |
Nicht demuthsvoll dem Fleische sich gepaart, | |
121 | Jetzt, um noch besser deinen Wunsch zu stillen, |
Und daß du seh'st, gleich mir, das volle Licht, | |
Will ich noch Eins dir deutlicher enthüllen. | |
124 | Ich sehe Feuer, sehe Luft - so spricht 124 |
Den Zweifel - Wasser, Erd', in mannigfachen | |
Vermischungen, und alle dauern nicht. | |
127 | Geschöpfe sind ja alle diese Sachen; |
Und sollte dies, wenn ich dich recht verstand, | |
Sie nicht vor der Verderbniß sicher machen? | |
130 | Die Engel, Bruder, und dies reine Land, |
Sie dürfen wohl sich für erschaffen halten, | |
Weil, wie sie sind, ihr volles Sein entstand, | |
133 | Doch Alles, was die Element' entfalten, |
Die Elemente selbst, sie läßt allein | |
Der Höchste durch geschaff'ne Kraft gestalten. | |
136 | Geschaffen ward ihr Stoff, ihr erstes Sein, |
Geschaffen ward die Bildungskraft dem Tanze | |
Der Sterne, die um eure Welt sich reihn. | |
139 | Die Seele jedes Thiers und jeder Pflanze |
Zieht nach verschiedner Bildungsfähigkeit | |
Regung und Licht aus ihrem heil'gen Glanze. | |
142 | Allein der höchsten Güte Hauch verleiht |
Unmittelbar uns selber unser Leben, | |
Und Liebe, die dann ihr sich sehnend weiht. | |
145 | Wie aus der Gruft die Leiber sich erheben, |
Erkennst du, wenn du denkest, wessen Ruf | |
Dem Menschenleib sein erstes Sein gegeben, | |
148 | Als er die beiden ersten Eltern schuf. |
Erläuterungen:
1-2 Diese drei ersten Zeilen sind im Original lateinisch mit einigen hebräischen Worten. Der Uebersetzer hat aber hier und an anderen Stellen auch die lateinischen Worte deutsch ausgedrückt, und sich eine Ausnahme von dieser Regel nur dann gestattet, wenn der lateinische Ausdruck allbekannt ist. Denn im Italienischen, das sich zu Dante's Zeit eben erst zur Schriftsprache völlig ausbildete und noch immer mit dem Lateinischen viele Aehnlichkeit behielt, macht natürlich ein eingeschobener lateinischer Vers einen ganz andern Eindruck, als er in der deutschen Uebersetzung machen würde. 4 Die Seligen, in Lichtgewändern erscheinend, drücken ihre Wonne durch Tanz im Kreise auf, der lebhafter, glänzender und schneller wird, wenn sich eine Veranlassung zu erhöhter Liebe und Freude darbietet. Manche werden vielleicht diese Aeußerung der Seligkeit zu gemein und irdisch finden. Aber sie mögen versuchen, ob ein würdigeres Bild aufzufinden ist, als die Bewegung der Sterne durch das unermeßliche All. Auch möge man nicht vergessen, daß, solange die Sinne die Organe unserer höheren Kräfte bleiben, nur Bilder, wie sie den Sinnen verständlich sind, gebraucht werden können, um eine Ahnung des Uebersinnlichen zu erwecken. Diese Ahnung selbst ist nur zu fühlen, aber nicht darzustellen. 14 be und ice. Die Anfangs- und Endsylben des Namens Beatrice, der abgekürzt auch wohl Bice ausgesprochen wurde. Die Stelle bedeutet: bei Allem, was mich an ihren Namen erinnert, werde ich von Ehrfurcht durchdrungen. 18 Im Original weit schöner, einfacher und deutlicher: welches den Menschen im Feuer glücklich machen würde. 19 Der Zweifel bezieht sich auf die Stelle V. 91 bis 93 des vorigen Gesanges. Wenn die Rache, die an Christus vollzogen wurde, gerecht war, wie duldete dann die Gerechtigkeit, daß diese gerechte Rache an den Juden bestraft wurde? 25 Der Mensch, welcher nicht geboren ward, Adam, welcher Gott ungehorsam war. 58 - 63 Der Geist bemüht sich vergebens, das göttliche Geheimniß zu erkennen, wenn er nicht gereift ist in der Glut der Liebe. 76 In Allem dem, in allen den vorbenannten Vorzügen, nämlich unmittelbar von Gott erschaffen, unsterblich, frei, gottähnlich und von Gott erleuchtet zu sein. 79 Er verliert einen jener Vorzüge, die Freiheit, durch die Sünde. 85 in den ersten Beiden, in Adam und Eva. 124 V. 67 hat Beatrice den Satz aufgestellt: daß Alles, was Gott unmittelbar erschaffen, nicht sterbe. Sie beseitigt in dem Folgenden einen Einwand, den man ihr machen könnte, da man so vieles Erschaffene vergehen sieht. Das, was untergeht, ist nicht von Gott unmittelbar, sondern mittelbar durch die Kräfte erschaffen, die er, wie wir früher erfahren, den Sternen mitgetheilt hat. Der Menschenleib ist daher, da er in den ersten Eltern von Gott unmittelbar erschaffen wurde, gleich der Seele unsterblich, und wird einst beim Weltgericht aus dem Grabe erstehen, um sich wieder mit der Seele zu verbinden. |