Uebersicht

Die Hölle.

Achtundzwanzigster Gesang.

1 Wer könnte je, auch mit dem frei'sten Wort,
  Das Blut, das ich hier sah, die Wunden sagen,
  Erzählt' er auch die Kunde fort und fort.
4 Jedwede Zunge muß den Dienst versagen,
  Da Sprach' und Geist zu eng und schwach erscheint,
  So Schreckliches zu fassen und zu tragen.
7 Und wäre das gesammte Volk vereint,
  Das Puglien, das verhängnißvolle, hegte,
  Dies Land, das einst die blut'ge Schaar beweint,
10 Die Rom und jener lange Krieg erlegte,
  Wo man so große Beut' an Ringen fand,
  Wie Livius schrieb, der nicht zu irren pflegte,
13 Vereint mit dem, das harte Schläg' empfand,
  Weil's gegen Robert Guiscard ausgezogen;
  Mit dem, des Knochen modern, dort im Land
16 Bei Ceperan, wo Pugliens Schaar gelogen;
  Mit dem von Tagliacozzo, wo Alard,
  Der Greis, durch List die Waffen aufgewogen;  7-18
19 Und zeigte, wie es dort verstümmelt ward,
  Sich jedes Glied, nicht wär' es zu vergleichen
  Mit dieses neunten Schlundes Weis' und Art.  21
22 Ein Faß, von welchem Reif' und Dauben weichen,
  Ist nicht durchlöchert, wie hier Einer ging,
  Zerfetzt vom Kinn bis zu Gesäß und Weichen,
25 Dem aus dem Bauch herunter im Geschling
  Gedärm' und Eingeweid, wo sich die Speise
  In Koth verwandelt, sammt dem Magen hing.
28 Ich schaut' ihn an und Er mich gleicher Weise,
  Dann riß er mit der Hand die Brust sich auf,
  Und sprach zu mir: "Sieh, wie ich mich zerreiße!
31 Sieh hier das Ziel von Mahoms Lebenslauf!  31
  Vor mir geht Ali, das Gesicht gespalten
  Vom Kinn bis zu dem Scheitelhaar hinauf.
34 Sieh Alle, die, da sie auf Erden wallten,
  Dort Aergerniß und Trennung ausgesät,
  Zerfetzt hier unten ihren Lohn erhalten.
37 Ein wilder Teufel, der dort hinten steht,
  Er ist's, der Jeglichen zerfetzt und schändet
  Mit scharfem Schwert, der dort vorübergeht,
40 Wenn wir den wehevollen Kreis vollendet;
  Weil jede Wunde heilt, wie weit sie klafft,
  Eh' unser Lauf zu ihm zurück sich wendet.
43 Doch wer bist du, der dort hernieder gafft?
  Weilst du noch zögernd über diesen Schlünden,
  Wohin Geständniß dich und Urtheil schafft?
46 "Er ist nicht todt, noch hergeführt von Sünden,"
  So sprach mein Meister drauf zu Mahoms Pein,
  "Doch soll er, was die Höll' umfaßt, ergründen,
49 Und ich, der todt bin, soll sein Führer sein.
  Drum führ' ich ihn hinab von Rund' zu Runde,
  Und Glauben kannst du meinem Wort verleihn."
52 Jetzt blieben Hundert wohl im tiefen Grunde,
  Nach mir hinblickend, still verwundert stehn,
  Vergessend ihre Qual bei dieser Kunde.
55 "Du wirst vielleicht die Sonn' in Kurzem sehn,
  Dann sage dem Dolcin, er soll mit Speisen,  56
  Eh' ihn der Schnee belagert, sich versehn,
58 Wenn er nicht Lust hat, bald mir nachzureisen.
  Allein vollbringt er, was ich rieth, so muß
  Novara's Heer ihn lang' umsonst umkreisen."
61 Zum Weitergehn erhoben einen Fuß,
  Rief dieses Wort mir zu des Mahom Seele,
  Und setzt' ihn hin und ging dann voll Verdruß.
64 Dann sah ich Einen mit durchbohrter Kehle,
  Die Nase bis zum Auge hin zerhau'n,
  Und wohl bemerkt' ich, daß ein Ohr ihm fehle.
67 Und staunend sah auf mich dies Bild voll Graun,
  Und öffnete zuerst des Schlundes Röhre,
  Von außen roth und blutig anzuschau'n.
70 "Du, nicht verdammt für Sünden, wie ich höre,
  Den ich bereits im Latier-Lande sah,
  Wenn ich durch Aehnlichkeit mich nicht bethöre,
73 Kommst du den schönen Ebnen wieder nah,  73
  Die von Mercell nach Marcabo sich neigen,
  So denk' an Pier von Medicina da,  75
76 Du magst den Besten Fano's nicht verschweigen,  76
  Dem Guid' und Angiolell, daß, wenn nicht irrt
  Mein Geist, dem sich der Zukunft Bilder zeigen,
79 Nah bei Cattolica, schlau angekirrt,
  Vom schändlichsten der Wüthriche verrathen,
  Das edle Paar ersäuft im Meere wird.
82 Noch nimmer hat Neptun so schnöde Thaten
  Von Cypern bis Majorka hin geschaut,
  Von Griechenschaaren nicht, noch von Piraten.
85 Der Bub', auf einem Aug' von Nacht umgraut,
  Jetzt Herr der Stadt, von welcher mein Geselle
  Hier neben wünscht, nie hätt' er sie erschaut,
88 Ruft sie als Freund und thut an jener Stelle
  So, daß sie nicht Gelübd' thun, noch sich scheu'n
  Wie wild der Wind auch von Focara schwelle."  90
91 Drauf ich: ""Soll dein Gedächtniß sich erneu'n,
  So magst du dich zu sagen nicht entbrechen,
  Wer muß den Anblick jenes Land's bereu'n?""
94 Da griff er, um den Mund ihm aufzubrechen,
  Nach eines Andern Kiefer hin und schrie:
"Sie her, der ist's, allein er kann nicht sprechen,
97 Er, der verbannt, einst Cäsarn Muth verlieh,  97
  Und alle seine Zweifel scheucht', ihm sagend:
  Dem Kampfbereiten fromme Zögern nie."
100 O wie jetzt Curio ganz verblüfft und zagend,
Die Zunge tief am Schlund verschnitten, stand,
Die Zung', einst kühn und eilig Alles wagend -
103 Und abgeschnitten die und jene Hand,
  Stand Einer, in die Nacht die Stümpf' erhoben,
Das Antlitz blutbesprützt mir zugewandt,
106 Und rief: "Denkt man des Mosca noch dort oben?  106
Ich bin's, der meine Hand zum Morde bot,
Ob deß jetzt Tuscien die Partei'n durchtoben."
109 ""Der Grund war auch zu deines Stammes Tod!""
Setzt' ich hinzu - und, häufend Grau'n auf Grauen,
Zog er davon in höchster Angst und Noth.
112 Ich aber blieb, die Andern anzuschauen,
Und was ich sah, so furchtbar und so neu,
Nicht wagt' ich's unverbürgt euch zu vertrauen,
115 Fühlt' ich nicht mein Gewissen rein und treu,
Dies gute feste Schild, den sichern Leiter,
Und so mein Herz befreit von Furcht und Scheu.
118 Ich sah - noch ist dies Schreckbild mein Begleiter -
Ein Rumpf ging ohne Haupt mit jener Schaar
Von Unglücksel'gen in der Tiefe weiter.
121 Er hielt das abgeschittne Haupt beim Haar,
Und ließ es von der Hand als Leuchte hangen
Und seufzte tief, wie er uns nahe war.
124 So kam er Eins in Zwei'n dahergegangen,
Und leuchtet' als Laterne sich mit sich -
Wie's möglich, weiß nur der, der's so verhangen.
127 Nachdem er bis zum Fuß der Brücke schlich,
Hob er, um näher mir ein Wort zu sagen,
Den Arm zusammt dem Haupte gegen mich,
130 Und sprach: "Hier sieh die schrecklichste der Plagen!
Du, der du athmend in der Höll' erscheinst,
Sprich, ist wohl eine schwerer zu ertragen?"
133 Jetzt horch, wenn du von mir zu künden meinst:
  Beltram von Bornio bin ich, und Johannen,  134
  Dem König, gab ich bösen Rathschlag einst,
136 Darob dann Sohn und Vater Krieg begannen,
  Wie zwischen David einst und Absalon,
  Durch Ahitophel Fehden sich entspannen.
139 Mein Hirn nun muß ich zum gerechten Lohn
  Getrennt von seinem Quell im Rumpfe sehen,
  Weil ich getrennt den Vater und den Sohn,
142 Und so, wie ich gethan, ist mir geschehen."

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Neunundzwanzigster Gesang

Erläuterungen:

7-18 Diese Verse enthalten Hindeutungen auf blutige Schlachten, die in den Kriegen zwischen den Römern und Karthaginiensern, zwischen den Normannen und Sarazenen und Griechen, und zwischen Manfred und Karl von Anjou vorfielen. Im Einzelnen bemerken wir nur bei V. 11, daß nach der Schlacht bei Cannä Hannibal mehr als drei Scheffel Ringe, welche erlegten römischen Rittern abgezogen worden, nach Karthago geschickt haben soll - und bei V. 16, daß in der Schlacht bei Ceperano eine Schaar Puglieser von Manfred zu Karl von Anjou überging - endlich bei V. 18, daß die Schlacht von Tagliacozzo, in welcher Karl von Anjou von Konradin bereits fast völlig geschlagen war, durch Erard (oder Alard) von Valery, welcher mit einer kleinen, aber noch unversehrten französischen Schaar den unvorsichtig verfolgenden Kriegern Konradins in den Rücken fiel, noch von den Franzosen gewonnen wurde.

21 In dieser neunten Abtheilung finden wir diejenigen, die durch Betrug Zwietracht aussäen. Indem sie im Kreise umherziehen, werden sie von einem Teufel mit Säbelhieben zerfetzt. Allein die Wunden schließen sich, ehe sie wieder zu dem Standpunkte desselben zurückkommen, um von Neuem zerfetzt zu werden. Die Beziehung der Strafe auf das Verbrechen, durch welches frevelhaft der Theil von seinem Ganzen losgerissen und ihm verfeindet wird, spricht sich von selbst aus.

31 Wir sehen zuerst diejenigen, welche Trennung in Religions-Angelegenheiten stiften - allerdings die gefährlichsten unter allen Verbrechern dieser Art, wie wir erfahren haben - und, wenn nicht alle auf das Rückwärtsblicken in die Geschichte begründete Voraussicht trügt, durch die mit höchster Wahrscheinlichkeit zu prophezeihenden Wirkungen moderner Sektirerei auch in der nächsten Zeit zum Nachtheil wahrer Religiosität und der öffentlichen Eintracht und Ruhe wieder erfahren werden.

56 Dolcin ward, nach Benvenuto d'Imola, in einem Kloster erzogen, stahl aber, obwohl er sich bei Allen einzuschmeicheln wußte, seinem Wohlthäter eine Summe Geldes. Der Hinrichtung kaum entgangen, zeigte er sich als religiöser Schwärmer und gab sich für einen wahrhaften Apostel Gottes aus. Er predigte, daß für die Gläubigen Alles, selbst die Frauen nicht ausgenommen, Gemeingut sein müsse. Diese Lehre verschaffte ihm viele Anhänger, unter welchen es an Frauen so wenig, als an Adligen und Reichen mangelte. Endlich wegen der Unruhen, die er anstiftete, verfolgt, mußte er sich in das Gebirge von Novara zurückziehen, wo er belagert und durch großen Schnee behindert, sich Lebensmittel zu verschaffen, sich aus Hunger dem gegen ihn abgesandten Kriegshaufen ergeben mußte. Er wurde im Jahre 1305 hingerichtet. Der Fanatismus stärkte ihn, die grausamste Todesstrafe so standhaft zu ertragen, als vor wenigen Jahren eine moderne Schwärmerin in der Schweiz die Kreuzigung ertrug, so daß er immerfort predigte, während er mit glühenden Zangen gezwickt wurde. Seine sehr schöne Frau folgte seinem Beispiele. Merkwürdig ist, daß in der alten und neuen Zeit den Sektirern fast immer nachgesagt worden, daß sie die Lehre des Dolcin von der Gemeinschaft aller Güter predigen und bei nächtlichen Erbauungsübungen in Anwendung bringen. Ariost sagt dies auch denen nach, welche die katholische Kirche zu jener Zeit für Sektirer erklärte. (Vgl. Ariost's fünf Gesänge Ges. 2. V. 112.) Im Uebringen wird man, wenn von Sektenwesen die Rede ist, niemals die Erscheinung, welche vor dreihundert Jahren, in Verfolgung des von der Vorsehung dem Menschengeschlechte angewiesenen Weges, bei Millionen, als längst im Stillen entwickelt, hervortrat, mit demjenigen verwechseln, was einzelne verbrannte Köpfe, jenem ewig vorwärts gerichteten Wege gerade entgegenstrebend, hin und wieder anzuzetteln suchen.

73 Die Lombardei, von Vercelli in Piemont bis zum Ausfluß des Po, an welchem ehedem das Schloß Marcabo lag.

75 Peter von Medicina, so genannt vom Orte seiner Geburt, im Gebiete von Bologna, stiftete Zwietracht zwischen den Bürgern der Stadt, dann auch zwischen dem Grafen Guido von Polenta und Malatestino von Rimini.

76 Malatestino, Herr von Rimini, auf einem Auge blind, lud die zwei vornehmsten Bürger von Fano, den Guido del Cassero und Angiolello von Carignano, ein, mit ihm in Cattolica zu speisen und Sachen von Wichtigkeit zu berathen. Er schickte ihnen Barken, um sie dahin zu bringen. Allein die Schiffsleute warfen sie auf seinen Befehl im Angesichte von Cattolica ins Meer.

90 Focara, ein Berg nahe bei Cattolica, von welchem oft gefährliche Stürme den Schiffern entgegenwehen.

97 Curio, von Rom verbannt, reizte Cäsarn, den Uebergang über den Rubicon zu wagen, und wurde dadurch die erste Veranlassung zu den folgenden Bürgerkriegen. Ihm ist die Zunge abgeschnitten, mit welcher er den bösen Rath gab.

106 Mosca degli Uberti beging an dem Buondelmonte den in der Einleitung erwähnten Mord, welcher Veranlassung zu der ersten Parteiung in Florenz gab. Auch dieser ist durch den Verlust des Gliedes bestraft, durch welches das Verbrechen begangen wurde.

134 Beltram oder Bertrand von Bornio, Visconte von Hautefort, wird beschuldigt, zwischen Heinrich dem Zweiten von England und seinen Söhnen Zwietracht ausgesäet und die letzten zur Empörung gegen den Vater angereizt zu haben. Wir überlassen es den Geschichtsforschern, zu entscheiden, ob Dante den ältesten Sohn, Heinrich, der schon im Alter von 15 Jahren bei Lebzeiten des Vaters gekrönt und deshalb der junge König (il re giovane) genannt wurde, oder den jüngsten gemeint habe, der Johann hieß, und zur Herrschaft über Irland bestimmt, König Johann (il re Giovanni) benannt werden konnte. - Beltram soll die Glieder der Familie gegen das Haupt derselben, den Vater, aufgewiegelt haben, und trägt nun zur Strafe sein eignes Haupt vom Rumpfe getrennt. Es dient ihm in der Hölle als Leuchte, wie es ihm dazu auf Erden hätte dienen sollen, um ihm die Folgen seines Verbrechens zu zeigen.