Uebersicht

Die Hölle.

Zweiundzwanzigster Gesang.

1 Schon sah ich Reiter aus dem Lager ziehn,
  Die Must'rung machen, in die Feinde brechen,
  Auch wohl sich schwenken und zurückefliehn,
4 Von Streifpartei'n sah ich in euren Flächen,
  Ihr Aretiner, einst euch hart bedrohn!
  Sah Festturnier' und große Lanzenstechen;
7 Trommeten hört ich, Trommeln, Glockenton,
  Sah Rauch und Feuer auch als Kriegeszeichen,
  Und fremd' und heimische Signale schon;
10 Doch nimmer hieß ein Tonwerkzeug, dergleichen
  Ich hier gehört, das Volk zu Roß und Fuß,
  Zu Land und Meer, noch vorgehn oder weichen 12
13 Mit zehen Teufeln ging ich, voll Verdruß,
  Doch wußt' ich, daß man Säufer in den Schenken,
  Und Beter in den Kirchen suchen muß.
16 Auch war aufs Pech gerichtet all' mein Denken,
  Um ganz des Orts Bewandtniß zu erspähn,
  Und welche Leit' in diese Glut versänken.
19 Wie die Delphine, die vor Sturmes-Wehn
  Mit den gebognen Rücken oft verkünden,
  Zeit sei's, sich mit den Schiffen vorzusehn;
22 So, um Erleichterung der Qual zu finden,
  Taucht' oft ein Sünder-Rücken auf und schwand
  Im Peche dann so schnell, wie Blitze schwinden.
25 Und wie die Frösch' an eines Grabens Rand
  Mit Beinen, Bauch und Brust im Wasser stecken,
  Die Schnauzen nur nach außen hingewandt;
28 So sah man Jen' hervor die Mäuler strecken,
  Allein, wenn sie den Sträubebart erschaut,
  Sich schleunig in dem heißen Pech verstecken. 19-30
31 Ich sah, und jetzt noch schaudert mir die Haut,
  Nur Einen harren, wie wenn all' entsprangen,
  Ein einzler Frosch noch aus dem Pfuhle schaut.
34 Kratzkralle, der am weitsten vorgegangen,
  Schlug ihm den Haken ins bepichte Haar,
  Und zog ihn auf, Fischottern gleich, gefangen.
37 Ich wußte schon, wie Jedes Name war
  Von ihrer Wahl, und, daß mir nichts entfalle,
  Nahm ich der Namen dann im Sprechen wahr.
40 "Frisch, Grimmroth, mit den scharfen Klauen falle
  Auf diesen Wicht, und zieh ihm ab das Fell."
  So schrien zusammen die Verfluchten alle.
43 Und ich: ""Mein Meister, o erforsche schnell,
  Wer hier in seiner Feinde Hand gerathe?
  Wer ist wohl der unselige Gesell?""
46 Worauf mein Führer seiner Seite nahte,
  Ihn fragend: wer er sei? wo sein Geschlecht?
  "Ich bin gebürtig aus Navarra's Staate.  48
49 Die Mutter gab mich einem Herrn zum Knecht,
  Weil sie von einem Prasser mich geboren,
  Der all' sein Gut und auch sich selbst verzecht.
52 Zum Diener dann vom Theobald erkoren,
  Dem guten König, trieb ich Gaunerei,
  Jetzt leg' ich Rechnung ab in diesen Mooren."
55 Und Eberzahn, aus dessen Munde zwei
  Hauzähne ragten, wie aus Schweinefratzen,
  Bewies ihm jetzt, wie scharf der eine sei.
58 Die Maus war in den Krallen arger Katzen,
  Doch Sträubebart umarmt' ihn fest und dicht,
  Und rief: "Ich halt' ihn, fort mit euren Tatzen."
61 Und zu dem Meister kehrt' er das Gesicht:
  "Willst du, bevor die Andern ihn zerreißen,
  Noch etwas fragen, wohl, so zaudre nicht."
64 Mein Führer: "Sprich, wie andere Sünder heißen,
  Dort unterm Pech? Sind auch Lateiner da?"
  Und Jener sprach: "Mir war dort in der heißen
67 Pechflut vor kurzer Zeit noch Einer nah!
  Was mußt' ich doch darüber mich erheben,
  Da ich dort nichts von Klau'n und Haken sah!"
70 "Wir haben's schon zu lange zugegeben!"
  Scharfhaker schrie's, und hakt' auf ihn hinein,
  Auch blieb ein Stück vom Arm am Haken kleben.
73 Schon zielte Drachenblut ihm nach dem Bein, 73
  Allein der Hauptmann blickt' auf seine Schaaren
  Im Kreis herum und schien ergrimmt zu sein.
76 Da wandte sich, sobald sie stille waren,
  Mein Herr zu ihm, der auf sein wundes Glied
  Herniedersah, um mehr noch zu erfahren.
79 "Wer ist's, von dem dein Mißgeschick dich schied,
  Als du dich nach der Oberfläch' erhoben?" -
  "Der von Galluras ist's, der Mönch Gomit.  81
82 Im Trug bestand er all' und jede Proben,
  Des Herrschers Feinde hielt er im Verließ,
  Und that mit ihnen, was sie alle loben.
85 Geld nahm er, wie er selber sagt, und ließ
  Sie sachte ziehn, Er, der in Amt und Ehren
  Sich sonst als Schelm nicht klein, nein groß bewies,
88 Viel pflegt mit ihm Herr Zanche zu verkehren  88
  Von Logodor - sie schwatzen immerfort,
  Als ob sie jetzt noch in Sardinien wären.
91 Ach, seht, wie fletscht die Zähne Jener dort!
  Gern spräch' ich mehr, doch würd' er mich kuranzen!
  Er droht ja wüthend schon bei jedem Wort."
94 Doch Sträubebart, gewandt zu Firlefanzen,
  Deß Auge grimmig glotzte, schalt ihn sehr:
"Verdammter Vogel, wirst du rückwärts tanzen?"
97 "Willst du,"" begann der bange Wicht nunmehr97
  "Willst du Toskaner und Lombarden sehen?
  Ich schaffe sie dir nach Belieben her.
100 Wenn nur die Grimmetatzen ferne stehen,
Und deren Rache sie nicht zittern macht.
Und ich, ich will nicht von der Stelle gehen,
103 Und locke doch dir leicht statt Eines acht,
  Sobald ich pfeife, wie wir immer pflegen,
Um anzudeuten, daß kein Teufel wacht."
106 Da streckt' ihm Bluthund seine Schnauz' entgegen,
Und schrie kopfschüttelnd: "Hört die Büberei!
Er will ins Pech, sobald wir uns bewegen."
109 Allein der Sünder, reich an Schelmerei,
Sprach: "Wahrlich, bübisch bin ich wohl zu nennen,
Denn zu der Meinen Unglück trag ich bei."
112 Und Senkflug wollte, was er thu', erkennen;
"Springst du," hob er mit Jenen uneins an,
"So werd' ich nicht zu Fuße nach dir rennen.
115 Nein, überm Pech schlag' ich die Flügel dann.
Laßt Platz uns hinter diesem Damme nehmen,
Zu sehn, ob mehr als wir der Eine kann."
118 Jetzt werdet ihr ein neues Spiel vernehmen.
  Die Blicke wandten sie, und sehr bereit
War, der der Schlimmste schien, sich zu bequemen.
121 Doch wohl ersah der Gauner seine Zeit,
Stemmt' ein die Füß', und war mit einem Satze
Von dem, was sie ihm zugedacht, befreit.
124 Dort standen Alle mit verblüffter Fratze,
Und Jener, der die Schuld des Fehlers trug,
Flog nach, und schrie: "Du bist in meiner Tatze!"
127 Umsonst! Die Furcht war schneller als der Flug.
Das Pech verbarg bereits den Gauner wieder,
Und rückwärts nahm der Teufel seinen Zug.
130 So taucht die Ente vor dem Falken nieder,
Und dieser hebt, ergrimmt und matt, vom Teich
Zur Luft empor das sträubende Gefieder.
133 Eistreter kam, wie Jener sank, sogleich
Im schnellsten Fluge durch die Luft geschossen
Und fiel, erboßt von diesem Narrenstreich,
136 Mir seinen scharfen Klau'n auf den Genossen,
Und beide hielten über'm Pech voll Wuth
In wilder Balgerei sich fest umschlossen,
139 Doch braucht' auch Jener seine Krallen gut,
Und beide stürzten bald zu den Bepichten,
Die sie bewachten, in die heiße Flut.
142 Der Hitze ward es leicht, den Kampf zu schlichten,
Doch ganz bepicht das rasche Flügelpaar,
Vermochten sie es nicht, sich aufzurichten.
145 Und Sträubebart, der sehr betreten war,
Ließ vier der seinen rasch zu Hülfe fliegen,
Die äußerst schnell mit ihren Haken zwar
148 Auf sein Geheiß zum Peche niederstiegen.
  Wo Jeder den Besalbten Hülfe bot,
  Doch sahn wir sie gekocht im Sude liegen,
  Und ließen sie in dieser großen Noth.

Seitenanfang

Dreiundzwanzigster Gesang

Erläuterungen:

1- 12 Der feierliche Ton, mit welchem der Dichter diesen Gesang anfängt, streift wohl absichtlich bis zum Komischen hin. Wir dürfen übrigens hieraus abnehmen, daß Dante auch an kriegerischen Auftritten Theil genommen habe, und dies gehörte allerdings wesentlich zur vollständigen Ausbildung dieses vielseitigen Dichters. 

19 - 30 Die Delphine verkündigen durch ihr Erscheinen auf der Oberfläche des Meeres den nahenden Sturm. Man wird übrigens nicht übersehen, wie trefflich der Dichter durch die beiden Gleichnisse das, was er darstellen will, anschaulich macht.

48 Der hier sprechende Verdammte heißt Giampolo, welcher seine Verhältnisse in den nächsten Versen selbst hinreichend kund thut. Die Ausleger wissen nichts Näheres über ihn anzugeben.

73 Der Hauptmann Sträubebart kann keine Ordnung unter seinen Schaaren erhalten. Dies Schicksal theilen alle Hauptleute, welche, selbst Teufel, über Teufel zu befehlen haben.

81 Sardinien, welches damals unter der Botmäßigkeit der Pisaner stand, war in vier Bezirke eingetheilt: Logodoro, Gallari, Gallura und Alborea. Den Bezirk Gallura verwaltete Nino von Visconti, dessen Gunst der Mönch Gomita sich in hohem Grade erwarb. Er trieb damit allen Mißbrauch, welchen Günstlinge kleiner und großer Herren oft zu treiben pflegen, verkaufte Aemter, verzehrte öffentliche Gelder und setzte die gefangenen Feinde seines Gebieters, weil sie ihm Geld gaben, in Freiheit.

88 Michael Zanche, ein anderer Gauner, der ebenfalls nicht auf ehrenvolle Art sich die Verwaltung des Bezirks Logodoro erworben hatte.

97 Wir sehen im Folgenden, wie der Sünder seine Aufseher und Wächter betrügt, um aus ihren Krallen wieder ins Pech zurückzukommen. Auch hier werden wir, nach der über die Absicht des Dichters in den Anmerkungen zum vorigen Gesange aufgestellten Vermuthung, treffende Züge erkennen. Der eine Teufel, der den Sünder scheinbar in Schutz nimmt, der andere, der, obwohl er vorher der Strengste schien, doch nun zuerst auf den Vorschlag, ihm einige Freiheit zu lassen, eingeht; der Gönner, der, als der Sünder nun wirklich ins Pech springt, ihm wüthend nachsetzt, ihn aber nicht mehr einholt; - derjenige endlich, welcher, über dies Entkommen aufgebracht, den Collegen, der es verschuldet, anpackt und sich mit ihm herumbalgt, bis beide selbst in den Pechpfuhl zu den untergeordneten Sündern herabfallen und sogar durch die Hülfe des Vorstehers und der Gefährten nicht gerettet werden können, - alles dies ist leicht zu erklären, und deutet auf Ereignisse, die auch außer der Hölle vorgehen. Wohl möglich, daß eine wirkliche Begebenheit dieser Teufelshetze zum Grunde liegt.