Uebersicht

Die Hölle.

Neunzehnter Gesang.

1 O Simon Magus, ihr, o Arme, Blöde,   1
  Die, was der Tugend ihr vermählen sollt,
  Die Dinge Gottes, räuberisch und schnöde,
4 Ihr euch erbuhlt durch Silber und durch Gold.
  Von euch soll jetzo die Posaun' erschallen;
  Euch zahlt der dritte Sack der Sünden Sold.
7 Erstiegen hatten wir die Felsenhallen
  Des Stegs, von welchem mitten in den Schooß
  Des nächsten Schlunds die Blicke senkrecht fallen.
10 Allweisheit, wie ist deine Kunst so groß,
  Im Himmel, auf der Erd', im Höllenschlunde .
  Und wie gerecht vertheilst du jedes Loos:
13 Ich sah dort an den Seiten und im Grunde
  Viel Löcher im schwarzbläulichen Gestein,
  Gleich weit und sämmtlich ausgehöhlt zum Runde.
16 Sie mochten so, wie jene, wo hinein   16
  Beim Taufstein Sanct Johanns die Täufer treten,
  Und enger nicht, doch auch nich weiter sein.
19 Eins dieser sprengt' ich einst, weil ich in Nöthen
  Ein halbersticktes Kindlein drin entdeckt:
  So sei's besiegelt, so will ich's vertreten.
22 Ich sah, daß sich aus jedem Loch gestreckt,
  Zwei Füß' und Beine bis zum Dicken fanden,
  Der andre Leib blieb innerhalb versteckt;
25 Sah, wie die Sohlen beid' in Flammen standen,
  Und sah die Knorren zappeln und sich drehn,
  So stark, daß sie wohl sprengten Kett' und Banden,
28 Wie wir's an ölgetränkten Dingen sehn,
  Wo ohnehin die Flammen flackernd rennen,
  So von der Ferse dort bis zu den Zeh'n.
31 ""Gern Meister,"" sprach ich, ""möcht ich diesen kennen,
  Der wilder zuckt, als die, so ihm gesellt,
  Und dessen beide Sohlen röther brennen.""
34 Und Er: "Ich trage dich, wenn dir's gefällt,
  Am schiefen Hang hinab - Er wird dir zeigen,
  Wer einst er war, und was im Loch ihn hält."
37 Drauf Ich: ""Du bist der Herr, und mein Bezeigen
  Folgt dem gern, was mir als dein Wille kund,
  Und du verstehst mich auch bei meinem Schweigen.""
40 Drauf ging's zum vierten Damm, und links zum Schlund
  Trug mich mein Herr hinab zu neuen Leiden
  In den durchlöcherten und engen Grund.
43 Er ließ mich nicht von seiner Hüfte scheiden,  43
  Auf die er mich gesetzt, bis bei dem Ort
  Deß, der da weinte mit den Füßen beiden.
46 ""Du mit dem Obern unten,"" sprach ich dort,
  ""Hier eingerammt gleich einem Pfahl, verkünde:
  Wer bist du? sprich, ist dir vergönnt dies Wort.""
49 Ich stand dem Pfaffen gleich, dem seine Sünde  49
  Der Mörder beichtet, welcher, schon im Loch ,
  Ihn rückruft, daß der Tod noch Aufschub finde.
52 Da schrie er: "Bonifaz, so kommst du doch,  52
  So kommst du doch schon jetzt, mich fortzusenden?
  Und man versprach dir manche Jahre noch?
55 Schon satt des Guts, ob deß mir frechen Händen
  Du trügerisch die schöne Frau geraubt,  56
  Um ungescheut und frevelnd sie zu schänden?
58 Ich stand verlegen, mit gesenktem Haupt,
  Wie wer nicht recht versteht, was er vernommen,
  Und sich beschämt kein Gegenwort erlaubt.   58 - 60
61 Da sprach Virgil: "Was stehst du so beklommen?
  Sag' ihm geschwind, daß du nicht jener seist,
  Den er gemeint!" - Ich eilt', ihm nachzukommen.
64 Die Füße nun verdrehte wild der Geist,
  Und sprach mit Seufzern und mit dumpfen Klagen:
  "Was also ist's, das so dich fragen heißt?
67 Doch standest du nicht an, dich herzuwagen,
  Um mich zu kennen, wohl, so sag ich dir,
  Daß ich den großen Mantel einst getragen.
70 Der Bärin wahrer Sohn war ich, voll Gier  70
  Für's Wohl der Bärlein, und für diese steckte
  Ich in den Sack dort Gold, mich selber hier.
73 Auch unter meinem Haupt giebt's viel Versteckte.
  Und dort, durch einen Felsenspalt,
  Sind, die vor mir die Simonie befleckte.
76 Und dort hinab versink' auch ich, sobald
  Der kommt, für welchen ich dich angesehen,
  Und der mir folgt in diesen Aufenthalt.
79 Doch wird er nicht so lang, als mir geschehen,
  Die Füße brennend, köpflings eingesteckt,
  Fest eingepfählt in diesem Loche stehen.
82 Denn nach ihm kommt, mit schlechterm Thun befleckt82
  Ein Hirt von Westen, ein gesetzlos Wesen,
  Das, wie sich ziemt, mich und auch ihn bedeckt.
85 Ein neuer Jason ist's, von dem zu lesen  85
  Im Maccabäer-Buch, dem Philipp wird,
  Was diesem einst Antiochus gewesen."
88 Ich weiß nicht, ob ich nicht zu sehr geirrt,  88
  Auf solche Red' ihm dieses zu versetzen:
  ""Sprich, was verlangt einst unser Herr und Hirt,
91 Zuerst von Petrus wohl an Gold und Schätzen,
  Um ihm das Amt der Schlüssel zu verleihn?
  Komm, sprach er, um mein Werk nun fortzusetzen!
94 Was trug's dem Petrus und dem Andern ein,   94
  Als man durch Loos einst den Matthias kührte,
Statt dessen, der ein Raub ward ew'ger Pein?
97 Nichts ward dir hier, als das, was sich gebührte!
  Betrachte nur das schlecht erworbne Geld,
  Das gegen Karln zur Kühnheit dich verführte.  99
100 Und nur, weil Ehrfurcht meine Zunge hält
Für jene Schlüssel, die du einst getragen,
Da du gewandelt in der heitern Welt,
103 Enthalt' ich mich, dir Schlimmeres zu sagen:
  Daß schlecht die Welt durch eure Habsucht ist,
Die Guten sinken und die Schlechten ragen.
106 Euch Hirten meinte der Evangelist,   106
Bei Ihr, die sitzend auf den Wasserwogen
Mit Königen zu huren sich vermißt.
109 Sie, mit den sieben Häuptern auferzogen,
Sie hatt' in zehen Hörnern Kraft und Macht,
So lang' der Tugend ihr Gemahl gewogen.
112 Eu'r Gott ist Gold und Silber, Glanz und Pracht,
Wohl besser sind die, so an Götzen hangen,
Die einen haben, wo ihr hundert macht.
115 Weil Unheil, Constantin, ist aufgegangen.  115
Nicht, weil du dich bekehrt, nein, weil das Gut
Der erste reiche Papst von dir empfangen.""
118 Indeß ich also sprach mit keckem Muth,
Da sei's, daß Zorn ihn, daß ihn Reue nagte,
Verdreht' er beide Bein' in großer Wuth.
121 Doch schien's, daß es dem Führer wohlbehagte;
So stand er dort, zufrieden, aufmerksam,
Als ich so nachdrucksvoll die Wahrheit sagte;
124 Worauf er mich mit beiden Armen nahm,
Und als er mich auf seine Brust gewunden,
Den Weg zurückestieg, auf dem er kam.
127 Er trug, nie matt, wie fest er mich umwunden,
Mich auf des Bogens Höhe sonder Rast,
Durch den der viert' und fünfte Damm verbunden.
130 Dort setzt' er sanft zu Boden meine Last,
Sanft, ob der Fels auch, steil emporgeschossen,  131
Zum Wege kaum für eine Ziege paßt;
133 Da ward ein andres Thal mir aufgeschlossen.

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Zwanzigster Gesang

Erläuterungen:

1 Simon Magus (Apostelgeschichte Kap. 8 V. 9 ff.) Von ihm heißt es V. 18-20: "Da aber Simon sah, daß der heilige Geist gegeben ward, wenn die Apostel die Hände auflegten, bot er ihnen Geld an und sprach: Gebet mir auch die Macht, daß, so ich jemand die Hand auflege, derselbe den heiligen Geist empfange. Petrus aber sprach zu ihm: "daß du verdammst werdest mit deinem Gelde, daß du meinst, Gottes Gabe werde durch Geld erlangt." Von diesem Simon hat das Verbrechen der Simonie, das in dieser dritten Abtheilung bestraft wird, seinen Namen erhalten. Man versteht darunter die Ertheilung und Erwerbung geistlicher Aemter für Geld. Diejenigen, welche dieses Verbrechens sich schuldig machen, finden wir, mit den Köpfen unten, eingerammt in engen Löchern, aus welchen noch die Beine bis an die Waden vorragen. Die Fußsohlen stehen in Flammen, die darauf hin und her gleiten. Für die Päpste, die dieses Verbrechens sich schuldig gemacht, ist ein besonderes Loch, und derjenige, der darin steckt, empfindet heftigern Schmerz als die anderen, da er wegen der heiligern Pflicht, welche die höchste Würde ihm auflegte, auch die schärfere Strafe für deren Verletzung verdient. Immer nur Einer steckt in diesem Loche, so lange bis ein anderer Papst wegen desselben Verbrechens zur Hölle fährt (V. 73-78). Der Vorgänger sinkt dann tiefer hinab, ohne daß wir erfahren, worin dann seine Strafe besteht. Aber sie muß wohl noch schwerer sein, weil die schwereren Verbrecher in tieferen Kreisen bestraft werden. Wer geistliche Aemter, zu welchen nur die Gaben des heiligen Geistes befähigen, für Geld ertheilt und erwirkt, kehrt die Ordnung der Kirche um, auf welcher ihre ganze segensreiche Einwirkung auf das Leben der Christen beruht. Der schlechte Hirt, der selbst auf dem Wege des Verbrechens die Leitung seiner Heerde erlangt hat, führt sicher auch diese auf falsche Wege, und so ist die Wirkung dieses Verbrechens eine solche, daß sie vom Verbrecher nie wieder aufgehoben, der angestiftete Schaden nie vergütet werden kann. Das Obere unten, eingepfählt im engen Loche, jeder freien Bewegung beraubt, fühlt er in den Flammen der Füße, daß er nie wieder seine natürliche Stellung erlangen, nie wieder hinwandern kann auf dem Wege seiner Pflicht. Der einzigen hohen Würde des Papstes gebührt für die Verletzung der Pflicht ein einziges Loch und beim unaufhörlichen Fortwirken des Verbrechens ein immer tieferes Versinken, eine immer schwerere geheimnißvolle Strafe.

16 In der Kirche St. Johannes des Täufers zu Florenz waren ehedem vier brunnenähnliche Löcher, in deren Grunde sich Quellwasser fand. In diese stiegen die Priester, um den Täuflingen das Wasser unmittelbar aus den Quellen zu reichen. Als einst ein Kind in einem solchen Brunnen gefallen war, sprengte Dante, um bequemer zur Tiefe zu kommen, dessen obern Rand ab. Diese Handlung zog ihm den Vorwurf der Gottesverachtung zu, welchen er hier ablehnt.

43 Mit den Füßen weinen ist ungewöhnlich, wie Vieles in diesem Dichter, aber scharf bezeichnend. Nur die Füße ließen sich sehen, und gaben durch schmerzliches Zucken den Schmerz des Sünders zu erkennen.

49  Zu Dante's Zeit wurden die Meuchelmörder, mit dem Kopfe unten, in ein Loch gesteckt, und in dieser Stellung lebendig begraben.

52  Der Schatten, der hier spricht, ist Papst Nicolaus der Dritte. Da er, mit dem Kopfe im Loche, hört, daß sich Jemand neben ihm befinde, den Erschienenen aber nicht sehen kann, so glaubt er, es sei Bonifaz der Achte, welcher komme, ihn abzulösen. Da der Dichter seine Reise in die Hölle im Jahre 1300 gemacht zu haben versichert, in welchem Bonifaz noch lebte, so mußte allerdings Nicolaus, der nach Ges. 10 V. 100 ff. gleich den anderen Verdammten die Zukunft voraussehen konnte, über die unvermuthete Ankunft des Nachfolgers im Loche sehr erstaunt sein.

56  Die schöne Frau ist die Kirche.

58 - 60  Man denke, daß eine hohe Person, der wir, nach ihrer äußern Stellung, die höchste Ehrfurcht schuldig sind, uns für einen Andern hält, und in diesem Mißverständniß uns von sich selbst und von einer andern gleich hohen Person das Schändlichste erzählt habe, und stelle sich vor, wie wir uns benehmen würden - und man wird diese Stelle trefflich finden.

70  Nicolaus war von der Familie Orsini.

82  Der unmittelbare Nachfolger Bonifaz des Achten war der friedliebende Benedict XI., der jedoch nur kurze Zeit regierte. Ihm folgte Clemens der Fünfte, ein Franzose, der durch den Einfluß Philipps des Schönen von Frankreich zum päpstlichen Stuhle gelangte und seinen Sitz nach Avignon verlegte. Dieser ist in obiger Stelle gemeint. Wie der Dichter über dies Ereigniß dachte, hat er nicht nur hier, sondern weit stärker im Fegefeuer Ges. 32. V. 14 ff. ausgesprochen.

85  Jason bot dem König Antiochus große Summen, um hoher Priester zu werden, und um die Erlaubniß zu Anlegung von Spielhäusern zu erlangen, und gewöhnte, als er diesen Zweck erreicht hatte, seine Leute zur Sitte der Heiden. Maccab. B. 2 Kap. 4 V. 7 - 10.

88  Der Dichter hat sich durch die Bekenntnisse des Sünders von seiner Verlegenheit erholt (V. 58 ff.) und Muth gefaßt, dem heiligen Vater in der Hölle die Wahrheit zu sagen. Doch ist er, indem er es erzählt, noch zweifelhaft darüber, ob er nicht in seiner Freimüthigkeit zu weit gegangen. Wie wahr und naturgemäß!

94  An die Stelle des Judas wurde einer von zwei dazu für geeignet gefundenen Männern, Matthias, durch das Loos zum Apostel-Amte gewählt. Apostelgesch. Kap. 1 V. 21. - 26.

99  Nicolaus, stolz auf seine Reichthümer, verlangte, daß Karl der Erste, König von Sicilien, einen seiner Verwandten mit einer Dame aus dem Hause Orsini vermählen sollte, und befeindete den König, da dieser eine solche Verbindung verschmähete.

106  Vgl. das 17te Kapitel der Apokalypse. Vielleicht deutet der Dichter auf die sieben Sacramente und zehn Gebote, welche der Kirche Kraft geben, so lange der Oberhaupt tugendhaft ist.

115  Der Dichter nimmt an, daß Kaiser Constantin die weltliche Macht des Papstes begründet habe.

131  Obwohl man nach dem Emporsteigen auf steilen Felsenwegen hätte glauben sollen, daß Virgil die schwere Last schnell und daher unsanft niedersetzen würde, setzte er sie doch langsam und daher sanft auf den Boden. Den katholischen Christen mag es allerdings schwer sein, nach der Betrachtung der Laster der Päpste sich wieder zum Glauben an die Vortrefflichkeit des Papstthums, als nothwendiger kirchlicher Anstalt, zu überzeugen. Aber die Vernunft lehrt Person und Sache unterscheiden, und trägt ihn aus der Tiefe, in welcher ihm die Verwerflichkeit der Person klar würde, sanft und unverletzt empor zum höhern Standpunkte, von welchem aus die Sache zu betrachten ist.