Uebersicht

Die Hölle.

Dritter Gesang.

1 Durch mich geht's ein zur Stadt der ew'gen Qualen,
Durch mich geht's ein zum wehevollen Schlund,
Durch mich geht's ein zu der Verdammniß Thahlen.
4 Gerechtigkeit war der Bewegungsgrund
Deß, der mich schuf; mich gründend, that er offen
Allmacht, Allweisheit, erste Liebe kund.
7 Nicht ward vor mir Geschaffnes angetroffen,
Als Ewiges; und ewig daur' auch ich.
Ihr, die ihr eingeht, laßt hier jedes Hoffen. - 1-9
10 Die Inschrift zeigt in dunkler Farbe sich
Geschrieben dort am Gipfel einer Pforte,
Drum ich: ""Hart, Meister, ist ihr Sinn für mich.""
13 Er, als Erfahrner, sprach dann diese Worte:
"Hier sei jedweder Argwohn weggebannt,
Und jede Feigheit sterb' an diesem Orte.
16 Wir sind zur Stelle, die ich dir genannt,
Hier wirst du jene Jammervollen schauen,
Für die das Heil des wahren Lichtes schwand." 18
19 Er faßte meine Hand, daher Vertrauen
Durch sein Gesicht voll Muth auch ich gewann,
Drauf führt' er mich in das geheime Grauen.
22 Dort hob Geächz', Geschrei und Klagen an,
Laut durch die sternenlose Luft ertönend,
So daß ich selber weinte, da's begann.
25 Verschied'ne Sprachen, Worte, gräßlich dröhnend,

Handschläge, Klänge heiseren Geschrei's

Die Wuth, aufkreischend, und der Schmerz erstöhnend -
28 Dies Alles wogte tosend stets, als sei's
Im Wirbel Sand, durch Lüfte, die zu schwärzen
Es keiner Nacht bedarf im ew'gen Kreis.
31

Und ich, vom Wahn umstrickt und bang im Herzen,

Sprach: ""Meister, welch Geschrei, das sich erhebt?
Wer ist doch hier so ganz besiegt von Schmerzen?""
34 Und Er: "Der Klang, der durch die Lüfte bebt,
Kommt von dem Jammervolk, geweiht dem Spotte,
Das ohne Schimpf und ohne Lob gelebt.
37 Sie sind gemischt mit jener schlechten Rotte
Von Engeln, die für sich nur blieb im Strauß,
Nicht Meuterer und treu nicht ihrem Gotte.
40 Die Himmel trieben sie als Mißzier aus,
Und da durch sie der Sünder Stolz erstünde,
Nimmt sie nicht ein der tiefen Hölle Graus."
43 Ich drauf: ""Was füllt ihr Wehlaut diese Gründe?
Was ist das Leiden, das so hart sie drückt?""
Und Er: "Vernimm, was ich dir kurz verkünde.
46 Des Todes Hoffnung ist dem Volk entrückt,
Im blinden Leben, trüb und immer trüber,
Scheint ihrem Neid jed' andres Loos beglückt.
49 Sie kamen lautlos aus der Welt herüber,
Von Recht und Gnade werden sie verschmäht.
Doch still von ihnen - schau' und geh' vorüber."
52 Ich schaute hin und sah, im Kreis geweht,
Ein Fähnlein ziehn, so eilig umgeschwungen,
Daß sich's zum Ruhn, so schien mir's, nie versteht.
55 In langer Reihe folgten ihm, gezwungen,
So viele Leute, daß ich kaum geglaubt,
Daß je der Tod so vieles Volk verschlungen.
58 Und hier erblickt' ich manch bekanntes Haupt,
Auch Jenes Schatten, der aus Angst und Zagen
Sich den Verzicht, den großen, feig erlaubt. 50-60
61 Ich war sogleich gewiß, auch hört' ich sagen,
Dies sei der Schlechten jämmerliche Schaar,
Die Gott und seinen Feinden mißbehagen.
64 Dies Jammervolk, daß niemals lebend war,
War nackend und von Flieg' und Wesp' umflogen,
Und ward gestachelt viel und immerdar.
67

Thränen und Blut aus ihren Wunden zogen,

In Streifen durch das Antlitz bis zum Grund,

Wo ekle Würmer draus sich Nahrung sogen.
70

Drauf, als ich weiter blickt' im düstern Schlund,

Erblickt ich Leut' an einem Stromgestade,
Und sprach: ""Jetzt thu', ich bitte, Herr, mir kund,
73

Von welcher Art sind die, die so gerade,

Wie ich beim düstern Dämmerlicht ersehn,

So eilig weiter ziehn auf ihrem Pfade?""
76 Und Er darauf: "Dir wird genug geschehn
Am Acheron - dort wird sich Alles zeigen,
Wenn wir am traur'gen Ufer stille stehn."
79 Da zwang mich Scham, die Augen tief zu neigen,
Aus Furcht, daß ihm mein Fragen lästig sei,
Und ich gebot mir bis zum Strome Schweigen. 79-81
82 Und sieh, es kam ein Mann zu Schiff herbei, 82
Ein Greis, bedeckt mit schneeig weißen Haaren.
"Weh euch, Verworfne!" tönte sein Geschrei.
85 Nicht hofft, den Himmel jemals zu gewahren.
Ich komm', euch jenseits hin an das Gestad
In ew'ge Nacht, in Hitz' und Frost zu fahren.
88 Und du, lebend'ge Seele, die genaht,
  Mußt dich von diesen, die gestorben, trennen!" -
  Dann, da er sah, daß ich nicht rückwärts trat:
91 "Hier kann ich dir den Uebergang nicht gönnen,
Für dich geziemen andre Wege sich,
Ein leichter Kahn nur wird dich tragen können." 93
94 Virgil drauf: "Charon, nicht erboße dich.
Dort, wo der Wille Macht ist, ward's verhangen;
Dies sei genug, nicht weiter frage mich."
97 Hierauf ließ ruhen die bewollten Wangen
Des fahlen Sumpfs erzürnter Steuermann,
Des Augen Flammenräder rings umschlangen.
100 Da hob graunvolles Zähneklappen an,
Und es entfärbten sich die Tiefgebeugten,
Seit Charon jenen grausen Spruch begann.
103 Sie fluchten Gott, und denen die sie zeugten,
Dem menschlichen Geschlecht, dem Vaterland,
Dem ersten Licht, den Brüsten, die sie säugten.
106 Dann drängten sie zusammen sich am Strand,
Dem schrecklichen, zu welchem Alle kommen,
Die Gott nicht scheu'n, und laut Geheul entstand.
109 Charon, mit Augen, die wie Kohlen glommen,
Winkt ihnen, und schlug mit dem Ruder los,
Wenn einer sich zum Warten Zeit genommen,
112 Gleich wie im Herbste bei des Nordwinds Stoß
Ein Blatt zum andern fällt, bis daß sie alle
Der Baum erstattet hat dem Erdenschooß;
115 So stürzen, hergewinkt, in jähem Falle,
Sich Adams schlechte Sprossen in den Kahn,
Wie angelockte Vögel in die Falle.
118 Durch schwarze Fluten geht des Nachens Bahn,
und eh sie noch das Ufer dort erreichen,
Drängt hier schon eine neue Schaar heran.
121 "Mein Sohn," sprach mild der Meister, "die erbleichen

In Gottes Zorne, werden alle hier

Am Strand vereint aus allen Erdenreichen.
124 Man scheint zur Ueberfahrt sehr eilig dir,
Doch die Gerechtigkeit treibt diese Leute 124 -125
Und wandelt ihre bange Furcht in Gier.
127 Kein guter Geist macht diese Fahrt; und dräute
Dir Charon, weil du hier dich eingestellt,
So kannst du wissen, was sein Wort bedeute."
130 Hier wankte so mit Macht das dunkle Feld,
Daß mich noch jetzt Schweißtropfen überthauen,
So oft dies Schreckensbild mich überfällt.
133 Ein Windstoß fuhr aus den bethränten Auen,
Und blitzt ein rothes Licht, das jeden Sinn
Bewältigte mit ungeheurem Grauen,
136 Und, wie vom Schlaf befallen, stürzt' ich hin. 130-136

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Vierter Gesang

Erläuterungen:

1-9 Der Uebersetzer fühlt am besten, wie ungenügend seine Uebersetzung dieser berühmten Lapidarschrift ist. Er muß aber eine genügende auf so lange für unmöglich halten, bis er sie von einem Andern wirklich geliefert sieht. In den ersten drei Zeilen finden wir die Lehre der Kirche von der Ewigkeit der Höllenstrafen ausgedrückt. Die vierte deutet auf den Bewegungsgrund Gottes, des Einen, dessen drei Personen in dem sechsten Verse in ihrer Eigenheit bezeichnet sind. Selbst die erste Liebe kann der Sünde die Qual nicht ersparen, weil ohne Gerechtigkeit keine Liebe ist. Vor der Erschaffung der Hölle war nichts Erschaffenes, als die ewigen Engel. Erst mit dem Abfalle eines Theils derselben von Gott ward ein Strafort nöthig, weil vor demselben keine Sünde war. Lucifer, der sich gegen Gott empörte, höhlte durch seinen Fall, indem er zur Strafe in den Mittelpunkt der Erde gesenkt wurde, diesen Abgrund aus. (Ges. 34 V. 121.)

18 Das wahre Licht ist Gott. Die Verdammten können nie zu dem Ziele gelangen, ihn anzuschauen.
Wir müssen hier, ehe wir weiter vorschreiten, zuvörderst die Ansicht des Dichters über die von ihm dargestellten Höllenstrafen erläutern. Im Fegefeuer Ges. 25. V. 88 u. ff. beschreibt er, wie der Scheinleib, der Schatten, welcher die Gestalt der Seelen darstellt, gebildet wird. Dieser Schatten folgt den Bewegungen der Seele, und verleiht jeder Empfindung derselben ein deutliches Bild. Seelenleiden also sind es, die wir in den körperlichen Qualen der Verdammten ausgedrückt sehen, und wir werden im weiteren Fortschreiten erkennen, wie diese Leiden dem Fehler und Laster entsprechen, zu dessen Bestrafung sie bestimmt sind. Hier also zuerst jene Werth- und Charakterlosen, jene Elenden, die im Leben weder gut noch böse gewesen, vermischt mit den Engeln, die im Kampfe des Satans gegen Gott sich neutral verhalten haben - das verächtlichste Vergehen, besonders in Zeiten politischer Parteiung, wie die unsers Dichters waren. Ausgestoßen aus dem Himmel, werden sie auch in der Hölle nicht aufgenommen, weil neben diesen Jämmerlichen die Verdammten selbst sich stolz fühlen würden, (V. 40-42). Ihr Zustand hier zwischen Hölle und Erde entspricht dem ihres Lebens. Ohne Rast und Haltung folgen sie einer Fahne, die jeder Windeshauch hier- und dorthin bewegt (V. 52-55). Kleine Leidenschaften stacheln und peinigen sie immerfort, wie hier das Geschmeiß der Insekten, und was diese aus ihnen hervorbringen, fördert nur das Gemeinste und Schlechteste (67-69).

50-60 Wahrscheinlich ist in diesen Versen Papst Cölestin gemeint, welcher sich durch seinen Nachfolger, Bonifaz den Achten, verleiten ließ, freiwillig vom päpstlichen Stuhle herabzusteigen. Die Kirche hat Dante's Ansicht über den Werth des Mannes nicht getheilt, und ihn unter die Heiligen aufgenommen.

79-81 Dante fragte, von welcher Art die sind, die so eilig zum Strome ziehn? Diese Frage läßt Virgil unbeantwortet, weil es Sünder aller Art sind, und sich das Nähere bald von selbst ergeben wird. Mit großer künstlerischer Geschicklichkeit läßt der Dichter den Augenschein sprechen, um V. 121 ff. weit kürzer und eindringlicher, als es hier möglich gewesen wäre, Auskunft zu geben. Wenn Dante in seiner Beschämung über die voreilige Frage, und in der Folge in seinem ganzen Benehmen gegen Virgil ein menschlich schönes Verhältniß des Jüngers zum Meister trefflich darstellt, so verleiht dies dem wunderbaren, keiner Gattung angehörigen, aber alle Gattungen umfassenden, das Allgemeine und Besondere gleich tief und wahr ergreifenden Gedichte oft beiläufig den eigenthümlichen Reiz des Drama's.

82 Der Dichter bedient sich hier und oft in der Folge mythologischer Figuren, um seiner Dichtung Gestalt und Rundung zu geben. Oft werden wir auch in diesen, nach dem Orte und der Gelegenheit, wo sie gebraucht werden, eine tiefere allegorische und symbolische Bedeutung leicht erkennen. Zuweilen aber scheinen sie bloß um jenes technischen Zweckes willen aufgeführt zu sein. Diese Zusammenstellung des Heidnischen und Christlichen in der Kunst war übrigens in älteren Zeiten nichts Ungewöhnliches. Oft findet man das Aeußere alter kirchlicher Gebäude mit mythologischen Figuren verziert.

93 Dante ist nicht, wie die andern, ein leichter Schatten, er bringt vielmehr den schweren Leib mit zum Acheron. Durch dessen Last würde der nur auf Schatten eingerichtete Kahn versinken. Wie wir überhaupt die große plastische Kunst des Dichters bewundern müssen, die oft durch einzelne scheinbar nur nebenbei angebrachte Verse ein lebendiges Bild vollendet, so sehen wir hier den zornig scheltenden Alten, der, sprechend, mit dem Munde zugleich Kinnladen, Wangen und Bart heftig bewegt, in dem Ruhen dieser Bewegung meisterhaft dargestellt, ohne daß jene Bewegungen beschrieben worden wären.

124-125 Was wir oben bei V. 34 u. ff. bemerkt, ist auch durch diese Verse bestätigt. Das Gewissen selbst treibt den Sünder der Strafe entgegen, so sehr er sich vor ihr fürchtet. Und sollte der Trieb des Gewissens nicht kräftig genug sein, so weiß die Vorsehung den Charon zu finden, der auf die Säumigen mit dem Ruder losschlägt, um sie dem verdienten Lohne zuzutreiben (V. 110 u. 111). Zwischen beiden Stellen ist nur beim ersten oberflächlichen Anblicke ein Widerspruch.

130-136 Daß der Dichter es unbeschrieben läßt, wie er über den Acheron gekommen, und daß er hier Gewitter und Erdbeben hervorruft, ist wohl nicht zufällig und bedeutungslos, nicht bloß zur technischen Maschinerie gehörig. Ein Lichtstrahl, der durch irgend eine bedeutende Thatsache, durch irgend eine große Idee in unsere Seele fällt, verblendet uns oft scheinbar, indem er uns wirklich erleuchtet. Wenn wir aus dem Erstaunen, aus der Erschütterung, in die er uns gesetzt, wieder zum ruhigen Bewußtsein kommen, finden wir uns gefördert und vorwärts gebracht, ohne daß wir wissen, wie uns geschehen. Der Dichter hat die Wirkungen der Gerechtigkeit im Ganzen und Großen erkannt, und sich dadurch vom Grausen gegen alles Böse und Schlechte erfüllt gefühlt. Und in diesem Grausen ist ihm der Sinn aufgegangen, um auch das Einzelne in seinem wahren Wesen zu erkennen. Er erkennt es, indem er, noch dieses Grausens voll, jenseits zum Bewußtsein kommt. Dieselbe Idee werden wir bei dem Uebergange ins Fegefeuer ausgeführt finden. Vgl. Fegefeuer IX. 31 u. ff.